19.11.2019
Schreihälse und Argumente
Im Jahre 2018 – unter dem Einfluss des Hitzesommers, der weite Teile Europas überzogen hatte – setzte sich Greta Thunberg mit einem selbstgemalten Schild (»Schulstreik fürs Klima«) vor den
schwedischen Reichstag und tat genau das: Sie streikte dafür, dass die schwedische Regierung alles darum tat, die Ergebnisse des Pariser Klimagipfels von 2015 einzuhalten. Ziele, die sich auch
die meisten Regierungen weltweit selbst gestellt hatten.
Der erste Freitagsstreik fand am 20.08.2018 statt, und das damals 15-jährige Mädchen saß ganz allein auf dem Bürgersteig gegenüber dem Parlamentssitz.
Wir wissen, wie es weiter ging: Rasend schnell gesellten sich, zunächst in Schweden, dann in Europa und schließlich in der ganzen Welt, Millionen von Schülern dazu, um gemeinsam unter dem Label
»Fridays for Future« für effektiven Klimaschutz und damit für eine halbwegs gesicherte Zukunft zu demonstrieren.
Sind solche Aktionen (Streiks haben ja immer auch den Ruch des Illegalen) gerechtfertigt? Wenn man den über 99 Prozent der (hierfür relevanten, heißt, sich damit befassenden) Wissenschaftlern
Glauben schenken möchte, dann sind sie sogar mehr als überfällig. Etwas muss geschehen, wenn die Erde in 20, 30 Jahren noch etwa dieselben Bedingungen zum Überleben der Menschheit aufweisen soll
wie derzeit. Etwas muss geändert werden, radikal. Darüber sind sich viele Menschen einig (auch und vor allem solche, die wirklich Ahnung haben und nicht nur begründete Interessen...).
Jetzt ist es so, dass sich unmittelbar, nachdem die FfF-Bewegung einigermaßen relevant wurde, Gruppen bildeten, die sofort Fronten aufmachten, deren Gräben im Laufe der Monate immer tiefer
gezogen wurden.
Wie hältst du's mit der Gretel? Bist du für Greta Thunbergs Kampagne oder dagegen? Es gibt nichts dazwischen, sagst du einen kleinen Satz dagegen (könnte ja sein, dass FFF sektenähnliche Züge
trägt – zumindest in der weiteren Anhängerschaft), dann hat man seine Seite gewählt (ah, du bist auch gegen Diesel-Fahrverbote. – Nein, du Schwachkopf! Ich bin dafür, auch wenn die Gründe
differenziert zu betrachten sind und nicht in nur einen einzigen Satz passen.), wird von den vermeintlichen Mitstreitern als solcher betrachtet und auch ganz schwer wieder aus der Pflicht
entlassen.
»Fridays for Hubraum« als eine Facebook-Gruppe sei als bizarres Beispiel genannt.
Es scheint so, als brauche der Mensch einen Kontrahenten, einen Antipoden, gegen den er sein Feuer richten kann. Ganz selten geht es miteinander.
Wir haben den Eindruck, die Auseinandersetzungen – gleich welcher Art, es muss ja nicht immer körperliche Gewalt sein – hätten zugenommen. Es hat den Anschein, als würden wir in unserem gesamten
Dasein nur noch in Kämpfe verwickelt sein. Die verbissene Auseinandersetzung um den Klimaschutz (welch seltsames Wort übrigens, das Klima ist robust, es benötigt keinen Schutz; nur wir sind
darauf angewiesen, das Klima in einigermaßen gleichmäßigem Rahmen zu halten, damit wir als Zivilisation überleben können!) ist nur ein, wenn auch ziemlich populärer Fall.
Es gibt erbitterte Kämpfe zwischen Rad- und Autofahrern, Fußgängern und Radfahrern, Windkraftgegnern und -befürwortern, Kaminbenutzern und Räuchergegnern, Fleischessern und Veganern, Autofahrer
für ein Tempolimit, Autofahrer dagegen, Geflüchtete und Nichtgeflüchtete, etc. pp.
Schlagen wir die Zeitung auf, gehen wir ins Netz, lesen einen Blog, einen Facebook-Eintrag, man kann ziemlich sicher sein, in einen Konflikt zu geraten, und die Fronten verlaufen fast immer sehr
klar und recht gerade.
Doch wenn sich jemand in einem solchen Streit zu Wort meldet, wenn es einen Beitrag gibt in einem Disput, dann wird dieser zu 70 oder 80 Prozent aus Polemik bestehen, Parolen, Platitüden oder
Phrasen. Es ist so unendlich schwer, Wortmeldungen zu finden, die von Fakten und wirklichen Argumenten geprägt sind. Gefechte, die geführt werden, sind nicht selten Scheingefechte, die ablenken
sollen von der eigentlichen Kampfzone.
Beispiel: Da wird in dem Streit um die Jugendlichen von FfF auf die Schulpflicht eingegangen und darauf gepocht, dass die Kids was lernen sollen, Schulschwänzer, Drückeberger, Faulenzer. Die
darüber hinaus von den Eltern zu den einzelnen Demos im SUV kutschiert werden, und anschließend, wenn diese Zusammenrottung vorüber ist, Müllberge und Dreck hinterlassen.
Nicht ein Argument in der Hauptsache, in der Diskussion um das eigentliche Thema, nämlich: Tun wir tatsächlich genug gegen einen drohenden Klimawandel? Oder noch präziser: Können wir uns die
Lebensweise, die wir uns gegenwärtig leisten, weiterhin leisten, wenn wir verhindern wollen, dass die Lebensumstände, wie wir sie kennen, ins Unabwägbare kippen? Kurzform: Leben wir auf Kosten
der künftigen Generationen? Oder: Yeah, baby, rocken wir den Planeten runter?
Stattdessen Diffamierungen, Verächtlichmachung und das, was momentan in Deutschland am liebsten getan wird: mit dem Finger auf andere zeigen. Da wird auf Argumente verzichtet, die Krankheit von
Greta Thunberg zum Thema gemacht, ihre Art zu kommunizieren und mit der Welt in Kontakt zu sein. Das alles nur, um sich selbst zu versichern, Mitglied der richtigen Gruppe zu sein.
Ich habe in einem früheren Beitrag schon ausgeführt, dass es dem Menschen innewohnt, sich über die Zugehörigkeit verschiedenster Gruppen zu definieren.
Er sieht sich bestätigt durch die Mitgliedschaft in Bünden und bestätigt sich immer wieder.
Die Anderen.
Ausländer, Penner, Hartz-IV-Empfänger, Schwule, Kriminelle. Alles Pack, übrigens Juden auch.
Wir nicht, denn wir gehören ja zu der anderen, zu der guten Gruppe.
Dieser Mechanismus scheint besser denn je zu funktionieren. Der Mensch scheint sich umso mehr seiner Stellung versichern zu wollen, je unübersichtlicher die Lage wird. Und dass die Lage nicht
gerade einfach ist, ist sicher unumstritten.
Was bleibt? Eigentlich das, was immer ist: Es sind nicht alles Schreihälse, die sich zu Wort melden. Aber die Lauten werden am ehesten gehört und bleiben in Erinnerung, und man kann den Eindruck
gewinnen, dass sie in der Überzahl sind.
Aber das darf nicht sein, Argumente müssen zählen, Argumente und Fakten. Und wir müssen der Versuchung widerstehen, den Schreihälsen zuzuhören und eine Bühne zu geben.
Und, natürlich, dürfen wir niemals per se davon ausgehen, dass wir zu den Guten gehören, dass wir niemals zu Schreihälsen werden.
Denn davor ist keiner gefeit.
11.09.2019
...und ich schäm' mich fast dabei
WARNUNG: Dieser Post wird nicht objektiv sein, er wird eventuell den einen oder anderen verletzen oder wenigstens wird er sich verletzt vorkommen.
Normalerweise versuche ich, hier so unparteiisch wie möglich zu urteilen. Ich weiß, dass man, wenn man von Menschen berichtet, dieses immer differenziert und abwägend tun sollte, um der
Vielfältigkeit der Meinungen und Stimmungen gerecht zu werden.
Dieser Post wird einseitig und tendenziös sein, allein weil ich der Ansicht bin, dass es sein muss.
Also, nun denn, los!
Ich bin Brandenburger.
Nun ist es raus, und ich schäm' mich fast dabei (um eine Zeile aus Klaus Lages »1001 Nacht« zu zitieren).
Brandenburg hat gewählt, und 23,5 Prozent der wählenden Brandenburger haben es vorgezogen, ihre Stimme einer Partei zu geben, die von vielen (unabhängigen) kenntnisreichen Beobachtern als
rechtsextremistisch eingestuft wird.
Um es herunterzubrechen:
Von 2.088 602 wahlberechtigten Brandenburgern (Mindestalter war sechzehn Jahre) stimmten 297 429 für eine Partei mit rassistischen Grundzügen. Das sind, um es festzumachen, gut 14 Prozent der
Brandenburger Erwachsenen, die rassistische Einstellungen haben. Da gibt es kein Drumrumreden mehr, rein Rumgeeier: Ein Siebtel der Erwachsenen in Brandenburg sind der Meinung, es gibt
Menschengruppen, die hätten nicht dieselben Rechte, wie sie selbst.
Um es klar zu sagen: Auch ich habe rassistische Einstellungen, jeder hat die. Ob das bei mir nun gerade 14 Prozent sind, das vermag ich nicht zu bestimmen.
In jedem einzelnen schlummern Ansichten, die nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmen.
Ich habe ein ungutes Gefühl, wenn ich einem fremdländisch aussehenden Menschen in einer dunklen Gasse begegne, wenn ich drei Schwarze um einen Geldautomaten herumlungern sehe, denke ich mir:
Freunde, was wird das jetzt?
Das sind Grundeinstellungen, die sich durch Erfahrungen und Berichte von Erfahrenem und Nichterfahrenem zusammensetzen, in meinem Innern einen Brei bilden, aus dem ich mich – gerade in
Gefahrensituationen – bedienen muss.
Um noch einmal darauf hinzuweisen: Das ist normal, jeder hat solche – ich nenne es mal – ungute, waberigen Emotionen.
Das Entscheidende ist, was ich daraus mache!
Ich muss sie hinterfragen, meine Vorurteile, muss sie abgleichen mit der Wirklichkeit, der Realität. Der Realität!!! (Normalerweise setze ich nicht gerne Ausrufezeichen, das zeigt, wie wichtig
mir die drei hinter dem letzten Satz sind.)
Nehmt den ollen Kant! Der Ausgang des Menschen aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit? Die Aufklärung, natürlich. Was heißt das? Klar: Mensch, wenn du nicht doof bleiben willst, bilde
dich!
Ich habe verdammt noch mal die Pflicht, meine Einstellungen, meine Vorurteile und Urteile immer und immer wieder dahingehend zu überprüfen, ob sie der Wahrheit entsprechen. Und ob sie meinem
Wertesystem gerecht werden. Ob ich, zum Beispiel, der Meinung bin, dass jeder Mensch (ausnahmslos jeder) eine Würde hat, die nicht antastbar ist. Oder ob ich Wissenschaftlern vertraue, die –
unabhängig voneinander in einer großen Zahl – dasselbe behaupten oder ich gebe meine Stimme eher den Leuten, die mir nach dem Mund reden, den Status Quo beschwören und propagieren, alles kann so
bleiben, wie es ist.
297 Tausend Brandenburger sind der Meinung, es gibt eine Partei, die das für sie regelt. Eine Partei, dessen Spitzenkandidat sich gerne mal auf Sommerlagern der »Heimattreuen deutschen Jugend«
(als rechtsextrem eingestuft und 2009 verboten) herumtreibt, in Kontakt steht mit verurteilten (wegen Volksverhetzung) Rechtsextremisten (Horst Mahler), der vom »Ethnozid am deutschen Volk«
faselt (2001 in einem sogenannten »Witikobrief«) und auch gerne mal eine Hakenkreuzfahne hisst (gemeinsam mit Udo Voigt und anderen Spitzenleuten der NPD und der JN, 2007 in Athen).
Das alles sind Fakten, die frei zugänglich sind, allerdings mit der Einschränkung, dass nur die Lügen-Medien darüber berichteten. Die »wirklich freien« Medien ließen darüber wohl kaum ein Wort
fallen.
Wer es wollte, der wusste also in Brandenburg, wen er wählt. Und auch wenn er sich vordergründig auf eine »Protestwahl« berufen will, kann man das ganz bestimmt nicht als Entschuldigung ansehen;
sehenden Auges wird eine Partei aus Menschenfeinden bei den Landtagswahlen auf Platz Zwei gehoben (ach ja, diese Partei ist ja die eigentliche Bewahrerin der Menschenrechte, auch wenn diese nur
für Deutsche gelten, die sich innerhalb der Norm bewegen).
Wie geht's weiter?
Am 27.10.2019 wird in Thüringen gewählt, Spitzenkandidat der Egoisten-Partei dort ist Björn Höcke, ein bestens in rechten Netzwerken eingebundener ehemaliger Lehrer aus Hessen. Wie übrigens
Andreas Kalbitz gebürtiger Bayer ist.
Die Wahlergebnisse werden das Land verändern, haben es schon verändert. Und nicht nur zum Guten.
Ich bin bereit zuzugeben, dass mit dem Einzug der Egoisten-Partei in die politische Landschaft neue Ansichten in die Debatte eingeführt wurden (oder eben die ewig alten).
Aber der Umgang miteinander, mit Minderheiten, mit abweichenden Meinungen und Lebensentwürfen wird immer härter und erbitterter. Man versucht, seine Meinung als die richtige und alleingültige
sowie den Mitmenschen im ärgsten Fall als nicht menschlich darzustellen.
Geb's Gott, dass wir einen Weg finden, der uns wieder hinausführt!
29.08.2019
Kleine Gehässigkeiten
Landtagswahlen stehen an, in Brandenburg und Sachsen, später dann in Thüringen. Drei Bundesländer, die vor fast dreißig Jahren neu oder wieder in die Bundesrepublik integriert wurden, und die auf
diesem Weg ganz bestimmt noch die eine oder andere Schwierigkeit zu meistern haben.
Es läuft nicht alles rund in den Ost-Bundesländern, nichtsdestotrotz läuft es super. Nicht für jeden, das weiß ich, aber es geht uns alles in allem gut. Vermutlich wird das nicht immer so sein,
deshalb kommt es jetzt darauf an, die Weichen vernünftig zu stellen.
Viele Menschen sind unzufrieden (ich weiß nicht recht, warum oder worüber), sie suchen ein Ventil, und das bietet die eine oder andere Partei in diesem Wahlkampf.
Ich habe den Eindruck, diese Wahlen sind so etwas wie eine politische Wegstellung in diesem Land.
Wir haben es in der Hand, wohin die Reise geht; wollen wir weiterhin dem Mammon frönen (wenn man zwei, drei Schritte zurücktritt, wird einem mit Beklemmung klar, wie weit wir uns dem
Geldverdienen, dem materiellen Glück schon verschrieben haben), wollen wir, dass es nur uns gut geht, wollen wir das Ganze immer weiter (ja, auch der Punkt muss sein!) auf Kosten von Umwelt und
anderen Menschen treiben?
Es wird mit vielen Mitteln gekämpft, wenn nicht mit allen. Ich glaube, den einen oder anderen Wahlkämpfer gibt es, dem ist kein Trick zu schmutzig, keine Finte zu gemein. Und so gehen in den
letzten Monaten kleine Filmchen, Gifs oder Bilder rund, durch Facebook, über Twitter, Instagram oder Whatsapp. Medien, die das einzige Ziel haben, den politischen Gegner zu verunglimpfen, seinen
Ruf zu schädigen, das Image zu zerstören.
Dabei geht es nie (niemals) um Fakten, immer nur um Stimmungen, Gefühle, Emotionen. Die Sachen kommen harmlos daher, manchmal, sind lustig und, man hat es ja schon immer gewusst.
Dabei steht der Kontrahent meist links von der Mitte, ist versifft, verschwult, vermerkelt oder sonst was griffiges, das man sich leicht merken kann und eingängig ist.
Doch es hilft, um diese Mechanismen zu verstehen, mal hinter die Kulissen zu blicken und zu schauen, wie sowas entsteht.
Obenstehendes Bild macht seit ein paar Monaten wieder die Runde im Web und auf den privaten Handys und Tablets. Ha-ha-ha, guck dir an, die Grünen, das versiffte Volk! Wir sollen für den Sprit
mehr zahlen und die fahren dicke Sportwagen und parken sie auf Behindertenparkplätze!
Dass da was faul ist, wird eigentlich den meisten klar sein, aber ein Rest Zweifel, ein bisschen Schadenfreude, Gehässigkeit bleibt hängen, bildet mit dem nächsten und dem übernächsten Stück
Gehässigkeit schon einen kleinen Berg, und der wird immer größer und größer.
Bei der entscheidenden Wahl dann: Die kriegen meine Stimme nicht, diese Pharisäer, aber da war doch diese andere Partei, die das schon immer gesagt hat ...
Exakt so funktioniert Framing, das in diesen Zeiten massenhaft angewandt wird.
Ist das nun legitim oder unlauter?
Muss jeder selbst entscheiden, ebenso die Frage, ob ich das Gehirn einschalte, wenn ich wieder ein politisch angehauchtes Bildchen mit abwertendem Inhalt erhalte, oder ob ich nur dämlich lache
und den »Weiterleiten«-Button betätige.
Zu obengezeigtem Bild existiert schon seit 2013 ein Artikel unter anderem im »Handelsblatt«, der ein bisschen erklärt, wie das Foto zustande kam und wie es benutzt wurde im politischen
Meinungskrieg. (einfach auf das Bild klicken)
Angenehm unaufgeregt und faktenbasiert.
26.07.2019
Was bleibt?
Der Tod ist uns ständiger Begleiter; wir nehmen ihn meist nicht wahr, oft verdrängen wir seine Existenz aufs Subtilste. Aber er ist da.
Unterbewusst setzen wir uns ständig mit der Tatsache unserer eigenen Endlichkeit auseinander. Es gibt Theorien, nach denen wir uns dem Konsumrausch hingeben, weil wir nicht wahrhaben wollen, dass
wir eines Tages unweigerlich abtreten werden.
»Sieh her«, sagen wir zu dem Schnitter. »Ich habe so viele Sachen, die ich noch nicht benutzte. Ich kann gar nicht sterben, jedenfalls noch nicht.«
Der Tod, eigentlich das Pendant unserer Geburt, aber in einem ungleich schlechteren Licht dastehend, fristet ein trostloses Dasein in unserem Leben.
Was passiert mit uns, wenn wir nicht mehr sind?
Wenn wir nicht mehr sind! Das ist etwas anderes als: wenn wir weg sind. Denn wenn wir weg sind, sind wir noch irgendwo, nur eben nicht hier.
Doch wie ist es, wenn wir nicht mehr sind?
Die Frage ist ja, wenn nicht völlig falsch gestellt, so doch wenigstens unvollständig. Denn wir, ein Teil von uns, viele Teile, sind ja noch da, werden immer da sein. Der Körper verfällt
unweigerlich, verrottet und zersetzt sich zu einer unansehnlichen Masse, die wir nicht ohne Grund ganz tief in die Erde versenken. Doch die einzelnen Teile – Atome, Elektronen, Protonen, die
kleinsten Unteilbaren – bleiben für immer. Wir alle sind Sternenstaub!
Und doch sind wir jeder für sich allein, gefangen in seinem eigenen Kosmos, der eigenen Welt, begrenzt durch die Unüberwindlichkeit der Haut, der Barriere, die, wenn wir sie reißen, uns den Tod
verspricht.
Also leben wir unser Leben einsam und dunkel gefangen in unserer leiblichen Hülle, und können uns nur Linderung verschaffen, indem wir uns unzulänglich mit anderen Individuen austauschen. Signale
senden, Signale empfangen. Und darauf hoffen, dass wir sie richtig deuten und die unseren wiederum auf die Art verstanden werden, wie wir sie meinen.
Schwierig genug.
Was ist das Ziel des Lebens? Der Tod?
Das wäre grausam, zumal dann alles Übrige müßig und umsonst wäre.
Wir bauen uns das gesamte Leben lang Verbindungen auf, mal weniger stark, in einzelnen Fällen so fest, dass wir den Anderen beinahe besser kennen, als uns selbst.
Bekanntschaften werden abgebrochen, neue aufgenommen, aber stets ist ihnen eigen, ja es scheint ein Grundmerkmal von Beziehungen zu sein, dass sie immer – immer – in Verlust enden. Sei es auf die
eine oder andere Weise. Trennung oder Tod, nur darauf läuft es hinaus.
Darüber muss man sich im Klaren sein, wenn man Bindungen eingeht, anderen Menschen Zugang zu sich selbst gewährt.
Doch wie kann man diesen kurzen Text positiv beenden?
Genieße dein Leben?
Das liefe darauf hinaus: Sei ein Arschloch, denke nur an dich selbst!
Es muss etwas Positives sein, das uns überdauert, wegendessen es sich zu leben lohnt.
Kinder wären so etwas vielleicht, Bäume und Häuser, die man pflanzt und baut.
Und Bücher, die man schreibt.
05.02.2019
Interessengeleitete Argumentation
Was ist denn bloß in Deutschland los? Was ist in der Welt los?!
Der Mensch ist schlecht, nicht weil er schlecht sein will, sondern – und das in hohem Maße – weil er gut sein will und seine Interessen mit allen – mit allen! – Mitteln durchzusetzen
versucht.
Wenn man in diesen Zeiten die Medienlandschaft überblickt, scheint es eine Unmenge Probleme zu geben ei uns. Probleme, die auf dem zweiten Blick gar keine so akuten Probleme sind: Flüchtlinge,
Tempolimits, Grenzwerte.
Versucht man, dann etwas über wirklich drängende Probleme zu erfahren (Altersarmut, extrem überdüngte Böden mit der daraus resultierenden Trinkwasserverunreinigung [muss gereinigt werden, treibt
die Preise in die Höhe – bei Trinkwasser!], Klimawandel, Luftverschmutzung), wird man wirklich erst auf dem zweiten Blick fündig.
Warum ist unser Interesse eigentlich so fokussiert auf Reizthemen? Warum werden diese Reizthemen dann bearbeitet, als handelte es sich um ideologische Grundsatzdiskussionen: Der Gegner hat
niemals recht, in den allermeisten Fällen ist er doof.
Will ich ein Problem lösen, muss ich mir dessen bewusst werden, dann suche ich mir Argumente für und gegen eine jeweilige Lösung. Die Begründungen, die schwerer wiegen, geben den Ausschlag.
Dabei muss ich natürlich darauf achten, dass die Argumente fundiert sind und plausibel. Halbwissenschaftliche, gar esoterische oder gefühlsmäßig begründete Lösungen sollten ausfallen.
Sollten!
Wenn Verkehrsminister Scheuer neue Diskussionen über die Grenzwerte für die Luftverschmutzung fordert (Stichwort NOx und Feinstaub), dann verkennt er zwei Tatsachen: Zum einen wurde diese
Diskussion unredlich angeschoben (nicht, dass man falsch versteht, Diskussionen müssen immer sein, gerade in der Wissenschaft; aber das Ganze muss auf Fakten beruhen!), denn diese 112
Lungenärzte, die bei Prof. Dr. Köhler unterschrieben haben (man erinnere sich: der Brief, in dem massiv bezweifelt wurde, dass NOx oder Feinstaub über gesundheitsschädigend oder dieses beweisbar
wäre), arbeiten nur mit Behauptungen, teilweise Verdrehungen und Mutmaßungen. Keine einzige Studie wird zur Unterstützung ihrer Thesen angeführt, es wird nur behauptet. Keine zwei Tage später
hatten sich denn auch die restlichen 9.888 Ärzte der pneumologischen Gesellschaft gegen diese Thesen positioniert und darauf hingewiesen, dass es sehr wohl zahlreiche Studien gibt, welche die
Grenzwerte untermauern.
Zum Anderen unterliegen auch die Grenzwerte über Luftreinheit sowieso einer ständigen Überprüfung durch die EU-Kommission. Der aktuelle Test wurde Ende letzten Jahres begonnen und wird sich bis
Ende 2019 hinziehen.
Allerdings, Zitat Spiegel online:
Eine Lockerung der Regelung ist hier keinesfalls vorgesehen. »Unsere letztes Jahr gestartete Überprüfung klärt, ob die Werte streng genug sind, um die Ziele unserer Politik zu erreichen«,
erklärte EU-Umweltkommissar Karmenu Vella auf Twitter. »Die Grenzwerte, wenn verändert, würden nur strenger.«(Quelle:
http://www.spiegel.de/politik/ausland/eu-kommission-prueft-richtlinien-fuer-grenzwerte-von-luftschadstoffen-a-1251069.html)
Heißt: Ob Andy Scheuer neue Überprüfungen gefordert hat oder nicht, sie finden statt. Und zwar nicht wegen seiner Forderungen, sondern trotzdem.
Doch was reitet den Verkehrsminister, Mitglied der Bundesregierung!, auf unwissenschaftliche Argumente einzugehen? Was veranlasst ihn, den Vorschlag eines allgemeinen Tempolimits auf deutschen
Autobahnen, der von einer von ihm eingesetzten Kommission stammt, mit den Worten abzutun: »Das ist gegen jeden Menschenverstand!«?
Ob das nun stimmt (natürlich nicht) oder nicht, ist egal. Er unterstützt damit eine Klientel, die Auto fahren möchte, ohne schlechtes Gewissen. Und diese Gruppe ist mächtig, hat Wählerstimmen und
weiß sich zu artikulieren. Indem sie Argumente wiederholt, die vom Verkehrsminister sind. Aus der Bundesregierung! Kann ja nicht falsch sein.
Was veranlasst Gesundheitsminister Jens Spahn zu sagen: »Es gibt gute Chancen, dass wir in zehn bis zwanzig Jahren den Krebs besiegt haben.«?
Wenn dann etliche ausgewiesene Experten dagegen hielten und den Optimismus massiv bremsten, musste er noch eins nachlegen und sagte: „Wir wollen den Krebs besiegen, indem wir ihn beherrschen. Das
wird nicht leicht. Aber gerade deshalb müssen wir es mutig und ambitioniert versuchen“ und „Wer hätte vor 30 Jahren gedacht, dass die Lebenserwartung mit einer gut behandelten HIV-Infektion so
hoch sein kann wie ohne Infektion?“ (Quelle: https://www.welt.de/debatte/kommentare/article188245991/Jens-Spahn-Mit-dem-Krebs-Aids-Vergleich-hat-er-sich-endgueltig-diskreditiert.html und
https://www.welt.de/politik/deutschland/article188202169/Jens-Spahn-verteidigt-Aussage-Krebs-besiegen-indem-wir-ihn-beherrschen.html)
Das nenne ich, Hoffnungen machen, aber falsche, eine Art Homöopathie für die Seele.
Es ist beängstigend, wie auch in die deutsche Politik und Gesellschaft das Agieren mit Fake News, unwissenschaftlichen Behauptungen und interessengeleiteter Argumentation Einzug gehalten
hat.
Und noch beängstigender ist es zu sehen, dass sich kaum Widerstand regt.
05.01.2019
Gesundes Neues!
Gesundes Neues, allerseits.
Ich weiß, man mag es nicht mehr hören, es klingt noch von allen Ecken, ernst gemeint, ja, aber ich kenne doch niemanden, der anderen ein schlechtes neues Jahr wünschen würde. Na ja.
Was wünsche ich mir für das Jahr 2019, nachdem 2018 alles in allem ja wohl eher abgekackt hat. Sich nicht unbedingt von seiner besten Seite gezeigt oder einfach nur versagt hat.
Ein ziemlich großer, ein recht naiver Wunsch, wie ich glaube:
Die Argumente des Andere mögen zählen.
Ich denke, wir müssen alle eine neue Kultur der Diskussion lernen, eine Art und Weise des Miteinanderstreitens, die wir offensichtlich, wenn nicht verloren, dann doch verschüttet und ganz tief
vergraben haben.
Wir müssen streiten, natürlich! Viel mehr, als wir das jetzt tun. Aber wir müssen es miteinander tun und immer mit der Prämisse, dass der Andere Recht haben könnte, dass ich gewillt sein muss,
bessere Argumente zu akzeptieren. Auch wenn sie von der Gegenpartei kommen. Das setzt aber voraus, dass man sich die Einwände von Gegenüber auch anhört, sie aufnimmt und als vollwertig
ansieht.
Es gibt natürlich dämliche Einwände – und das nicht zu knapp –, aber die sollten sich leicht entkräften lassen. Und will der Diskutant sich selbst nicht darauf einlassen – Shit happens!
Vielleicht täte es vielen von uns gut, hin und wieder aus der Rolle des Wissenden in die des Fragenden zu schlüpfen. Zunehmend hat man in dieser Gesellschaft den Eindruck, dass derjenige, der am
lautesten schreit, Recht hat.
Zweiter Wunsch: Vielleicht täte uns eine neue Bescheidenheit gut, eine Art, nicht so furchtbar prollhaft geltungssüchtig den eigenen Reichtum zur Schau zu stellen. Denn wahrer Reichtum ist in
Wirklichkeit derjenige, den der Nachbar nicht zu sehen bekommt. Das große Auto, das protzige Haus mit dem riesigen Swimmingpool. Es ist eine Gabe, Reichtum als solchen anzuerkennen, und diese
Gabe geht uns in gehörigem Maße ab. Vielleicht ist es auch so, dass der Mensch in der Masse mit Reichtum überhaupt nicht umgehen kann, dass er nicht verantwortungsbewusst und zuverlässig die
Güter zu verwalten imstande ist.
Denn dass wir reich sind – alle, ohne Ausnahme – das steht ja mal fest; wenn ich meinen Blick ein wenig erhebe und in andere Regionen lenke, wo wirklich Armut herrscht, dann fühle ich mich als
König.
Gut, vielleicht ist der Großteil der hier lebenden Bevölkerung nicht reich, kann sein. Arm ist sie im Gegenzug aber sicher nicht!
Dann und wann mal der Aktion »Geiz ist geil« widerstehen! Das wäre mal 'ne Performance, wirklich! Ich träume davon, dass diese ... Supermärkte endlich einmal auf ihre »billigen« Sachen
sitzenbleiben.
Vielleicht dringt die Erkenntnis ja dieses Jahr, 2019, zu einigen durch: Es gibt keine billigen Dinge! Irgendjemand bezahlt den Preis, meist ist es derjenige, der sich am wenigsten wehren kann:
der Angestellte, die Umwelt, die Allgemeinheit, der einfache Arbeiter in Bangladesch. Zugegeben, eine verkürzte Argumentationskette, doch runtergebrochen auf das Wesentlichste ist das die einzige
Wahrheit: Irgendeiner bezahlt immer.
Ressourcen schonen, mit ihnen sinnvoll umgehen – das steht noch auf dem Zettel. Aber das steht schon Jahr um Jahr drauf und verblasst nicht, wird im Gegenteil immer dringlicher.
Doch das ist wohl eine Binsenweisheit, die man nicht wiederholen muss. Oder nicht oft genug wiederholen kann.
In diesem Sinne dann: Prost!