Underground Railroad ist im Amerikanischen ein stehender Begriff und bezeichnet ein geheimes Netzwerk, bestehen auf Schwarzen und Weißen gleichermaßen, das im 18. und 19. Jahrhundert operierte
und sich zur Aufgabe gemacht hatte, entlaufene Sklaven bei ihrer Flucht mit Unterkunft, Helfern und Logistik zu unterstützen. Das geschah in der Anonymität und immer in Gefahr, aufzufliegen und
damit dem sicheren Tod gegenüberzustehen.
Denn, wenn auch in einigen Nordstaaten nach der Unabhängigkeitserklärung von 1776 die Sklaverei abgeschafft wurde, in den Köpfen war das Weltbild von den minderwertigen Rassen noch lange
verankert (ich möchte nicht wissen, in wieweit dieses Weltbild noch bis heute überdauert hat!).
Und so wurden Fluchthelfer nicht selten gleich neben dem ausgehobenen Flüchtlingsnest aufgeknüpft, bevor man die eingefangenen Ex-Sklaven zu Sklaven in spe machte, und sie ihrem ursprünglichen
Herrn zuführte.
Für Colson Whitehead (ist das eigentlich ein Pseudonym?!) ist die Underground Railroad keine Metapher, sondern reale Logistik. Also eine Untergrundbahn, die entlaufene Sklaven aufnimmt und von
einer Station zur nächsten bringt. Mit dazugehörigen Widrigkeiten, mit Gefahr und Anstrengungen. Für Whitehead ist das Schienennetz der Bahn das Netzwerk und die Stationsvorsteher die geheimen
Helfer. Insofern macht er aus einer Metapher Realität, die für sich wiederum eine Metapher für die Realität ist, die bis ins Heute reicht.
Das ist dann auch ein großes Plus des Buches. Whitehead hält sich durch diesen Kunstgriff alle Wege und Möglichkeiten offen, den Roman voranzutreiben.
Wir folgen Cora, einer jungen Sklavin in dritter Generation, auf ihrer Flucht von der Südstaaten-Plantage über die einzelnen Stationen bis in den Norden, wo die Freiheit warten soll.
Ob sie diese Freiheit erreicht, bleibt offen, doch die Reise ist beschwerlich, von Rückschlägen und Gewalt gekennzeichnet. Gerade die ersten einhundert Seiten, auf denen drastisch und vielfach
ungeschönt das Leben und die Arbeit der Sklaven auf der Plantage geschildert werden, lesen sich wie ein spannender Abenteuerroman.
Wer sich über die hier dargestellte Gewalt aufregt (da gibt es so einige, die sie plakativ nennen, sogar von »tarantinohaft« ist die Rede [obwohl ich nicht genau weiß, ob das abwertend oder als
Kompliment gedacht ist]), der sollte sich mit der Gewalt beschäftigen, die Menschen Menschen antun. Und er wird sehen, die Schilderungen sind realistisch, müssen sie auch sein, um Wirkung zu
zeigen.
Auch in den freien Gebieten ist das Leben nicht unbeschwert, hier kommt der Rassismus auf anderen Wegen. Nicht so offen und nicht ganz so gewalttätig, doch nicht weniger perfide und
lebensgreifend.
Und so spannt der Autor den Bogen bis in die Gegenwart hinein, zeigt Mechanismen der Menschenfeindlichkeit und des Gegenteiles. Und er zeigt, dass man nie davor sicher sein kann.
Ein großes Buch, trotz kleiner Schwächen. Ein menschliches Buch und unbedingt lesenswert!